Dänischer Name, deutscher Designer, britischer Chef. Wie Vitsœ das Erbe von Dieter Rams in die Zukunft trägt.
„Es geht nicht um Möbel. Es geht um ein besseres Leben mit weniger Dingen, die länger halten.“ sagt Vitsœ Chef Mark Adams. Nach diesem Prinzip entstand auch das neue Firmengebäude im englischen Kurort Royal Leamington Spa, eine Stunde nördlich von London. Eine Shedddachhalle, 135 Meter lang, 25 Meter breit und sechs Meter hoch. Adams hat das Gebäude selbst entworfen, mit Hilfe von Mitarbeitern, Ingenieuren und Umweltwissenschaftlern – und mit dem Yacht-Designer Martin Francis, der seine Leidenschaft für viktorianische Baumeister teilt.
Die tragenden Elemente des Gebäudes sind aus BauBuche gefertigt. Mark Adams lernte dieses innovative Material erstmals auf einer Messe in München kennen und wusste sofort, dass er es bei seinem nächsten Projekt einsetzen wollte. Dank seiner hohen Festigkeit ermöglicht BauBuche außergewöhnlich schlanke Konstruktionen. Der Hauptträger aus BauBuche GL70 ist zum Beispiel nur 600 mm hoch. Wäre er aus Stahl gefertigt, wäre dieser Träger wahrscheinlich nicht schlanker. Außerdem passte BauBuche genau in den Systemgedanken des Entwurfs. Mark Adams hat sich eine Fabrikhalle ausgedacht, die sich leicht erweitern und an die Entwicklung des Unternehmens anpassen lässt. Sie soll nicht nur ein paar Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte überdauern.
Das Gebäude wird komplett mit Tageslicht beleuchtet, das über Fensterbänder von Norden einfällt. Wie in den ersten modernen Fabriken vor hundert Jahren, wird die Lichtnutzung optimiert. „Als der Strom erfunden wurde, haben wir ja leider vergessen, was die Natur uns schenkt.“ An trüben Tagen sei es gefühlt noch heller, sagt Adams. Statt der geforderten 300 ist es hier bis zu 1000 Lux hell. Im Sommer soll möglichst kein Kunstlicht genutzt werden, für den Winter gibt es LED-Streifen. Der Strom kommt von Solarzellen auf dem Dach. Auch die Temperatur ändert sich je nach Saison, es gibt keine künstliche Belüftung. „Das ist viel gesünder. Es ist eine analoge Fabrik, die Schiebetüren haben keinen Motor, fast alles geht von Hand. So Lowtech wie möglich. Plain and simple. Das Gebäude hat 1740 Euro pro Quadratmeter gekostet, ein guter Preis“, sagt Adams. „Billiger zu bauen kommt einen am Ende nur teurer zu stehen.“
Wichtig ist Adams zudem, dass es keine Trennung von Management und Produktion gibt. „Wir sind ein Team.“ Mittag essen alle gemeinsam. Adams hat dafür eigens einen Küchenchef geholt, der sich seine Küche selbst zusammenstellen durfte. Er wünscht sich, dass jeder Mitarbeiter zur Arbeit laufen kann oder mit dem Rad kommt. „So arbeitet man im 21. Jahrhundert, glaube ich.“
Dass die von Dieter Rams – dem Vater des deutschen Designs – entworfenen Möbel nun in einer britischen Fabrik mit dänischem Namen hergestellt werden, liegt an Adams Leidenschaft für gutes Design. Seit seiner Jugend war der diplomierte Zoologe und Unternehmensberater fasziniert von Rams‘ Kreationen, insbesondere von seinen Entwürfen für Braun-Produkte und für Möbel. Deshalb gründete er ein Unternehmen, um Rams-Möbel in Großbritannien zu vermarkten. Als die Möbelfirma von Niels Vitsœ, die die Entwürfe von Rams herstellte, nach dem Tod des Gründers in Konkurs ging, verlegte Adams die Produktion nach Großbritannien.
Heute finden sich Rams‘ „Zehn Prinzipien guten Designs“ in jedem Lehrbuch über modernes Design. „Gutes Design ist so wenig Design wie möglich“, sagt Rams. Seine Braun-Produkte inspirierten einst Steve Jobs und sind der Grund dafür, dass die Apple-Produkte so aussehen, wie wir sie kennen. Mehr noch als seine Braun-Produkte sieht Rams sein Erbe jedoch in seinen Möbeln. Denn die werden noch immer produziert und genutzt.
Das „Regalsystem 606“, das „Sesselprogramm 620“ und der „Tisch 621“. Diese Designklassiker, von Rams in den 50er und 60er Jahren entworfen, fertigt Vitsœ heute im Herzen von England. Die Möbel, die von der Reduktion auf das Wesentliche leben und keine großen Namen brauchen, stehen heute in den First-Class-Lounges von Airlines, im MoMA in New York und bei Stars wie Adele und Gwyneth Paltrow. Rams‘ Sessel standen zudem jahrelang im Kanzleramt in Bonn. Angeblich habe Gerhard Schröder persönlich dafür gesorgt, dass sie mit nach Berlin umzogen. 2015 wurden sie von Angela Merkel ersetzt – durch das gleiche Modell. Manche sagen, das beweise Einfallslosigkeit. Andere sagen, es gebe bis heute nichts Besseres!
Beratung für Architekten, Bauingenieure, Bauherren und Holzbauunternehmen